„Es geht nach Ramallah“, spätestens nach dieser Aussage erklärten mich dreiviertel meiner Bekannten für völlig übergeschnappt. „Reicht es denn nicht, dass Ihr Euch in Jordanien und Israel rumtreibt, muss es denn dann auch noch eine Reise nach Palästina ins Westjordanland sein?“

Ich hatte mir lange Gedanken gemacht, ob wir die Tour machen und regelmäßig die Sicherheitslage über das Auswärtige Amt verfolgt. Um ehrlich zu sein, haben meine Bekannten mich überhaupt erst zum Hadern gebracht, denn die Lage schien für den Besuch der klassischen Touristenziele der Westbank vollkommen in Ordnung zu sein. Hier spielt scheinbar die Medienwahrnehmung eine große Rolle. Die Nachrichten berichten herzlich wenig von überfallenen Touristen in weltweiten Metropolen, verunglückten Reisebussen oder Fallzahlen von Tropenkrankheiten in beliebten Reiseländern. Wird allerdings in Israel oder den Palästinensischen Autonomiegebieten auch nur eine Person verletzt, ist es umgehend eine Schlagzeile.

Erschwerend kommt hinzu, dass der durchschnittliche Mitteleuropäer durch die Vorgänge vor Ort und Begriffe absolut nicht mehr durchsteigt: Westjordanland, Palästinensische Autonomiebehörde, Gaza, Juden, PLO, Fatah, Hamas, West Bank, Volksfront zur Befreiung Palästinas, Siedler, Israelische Araber, Sinai, Orthodoxe, A/B/C-Bereiche, Golanhöhen, geteiltes Jerusalem, besetztes Land, Volksfront von Judäa…  Unwissenheit führt zu Pauschalisierung.

Als Kompromiss entschieden wir uns dennoch, erstmal die seinerzeit vom Auswärtigen Amt als sicher eingestuften Orten Ramallah, Jericho und Bethlehem zu besuchen. Normalerweise mag ich keine geführten Touren, dennoch schien es hier sinnvoll, da wir an einem Tag möglichst viel sehen wollten und zugleich ein Gefühl für die Menschen bekommen wollten. So war es optimal, von einem perfekt Englisch sprechenden ortskundigen Palästinenser, durch sein Land geführt zu werden. Dieser konnte allerdings erst zu uns stoßen, nachdem wir die massiven Grenzanlagen Israels zum Westjordanland hinter Jerusalem passiert hatten.

Unsere Stopps auf der Tour durch die Palästinensischen Autonomiegebiete:

» Ramallah.
» Jericho.
» Qasr el Yahud | Bethanien.
» Bethlehem.
» Fazit.
» Interessante Links zu Thema Palästina.

Palästina | Ein Tor in der hohen Mauer mit Grenzanlagen und Wachturm

Palästina | Grenzposten auf der Fahrt von Bethlehem nach Jerusalem beim Verlassen vom Westjordanland

Palästina | Rotes Straßenschild warnt Israeli vor dem Betreten der Area A

Palästina | Das Westjordanland ist in Bereiche unterteilt. Area A-Zonen dürfen von Israeli nicht betreten werden

» Erster Stopp Ramallah

Viele assoziieren Ramallah mit dem im Fernsehen inszenierten Lynchmord zweier israelischer Soldaten zum Beginn der zweiten Intifada im Jahr 2000. Ich erwarte eine eher ärmliche vom Konflikt gebeutelte Stadt, werde aber sogleich eines Besseren belehrt. Das äußere Erscheinungsbild unseres Reiseführers ist keine Ausnahme. Den Menschen in Ramallah scheint es rein oberflächlich betrachtet nicht schlecht zu gehen – wir könnten uns auch inmitten Ammans befinden. Nur sind die Frauen und Männer hier noch wesentlich westlicher gekleidet. Auch die Straßencafés, trendigen Restaurants, eine neue Universität und einige Kunstgalerien überraschen mich und sind sicher das Letzte, was ich in Ramallah erwartete.

Bevor wir weiterfahren, besuchen wir noch die Mukata, den Sitz des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde. Hier befindet sich auch der durchaus beeindruckende Bau des Mausoleums mit dem Grab von Jassir Arafat.

Palästina | Platz mit Palmen und zwei Soldaten

Palästina | Die Innenstadt von Ramallah mit Sicherheitskräften

Palästina | Weißes modernes Gebäude

Palästina | Die Mukata in Ramallah ist der Sitz des Präsidenten, wo sich auch das Mausoleum mit dem Grab von Arafat befindet

» Zweiter Stopp Jericho

Weiter geht’s in die selbsternannt älteste Stadt der Welt aus dem 10. vorchristlichen Jahrtausend. Viel ist aufgrund der heißen Sommermonate gegen Mittag nicht auf den Straßen los. Zum berühmten Kloster der Versuchung, wo Jesus Christus auf einem Stein 40 Tage fastete, führt eine topmoderne Seilbahn auf den gleichnamigen Berg. So versucht Palästina mit dieser Attraktion einen Gegenpol zum israelischen Masada zu schaffen. Die Zahl der Besucher ist allerdings noch überschaubar – gerade die ersehnten internationalen Gäste bleiben bis dato eher aus. Dies allerdings zu Unrecht, denn neben dem wunderschönen Kloster ist der Blick vom Berg der Versuchung auf Jericho, den Jordan, das Tote Meer und das angrenzende Jordanien phänomenal.

Palästina | Sehenswürdigkeiten: Hoch in den gelben Felsen eingebettetes Kloster der Versuchung in Jericho

Palästina | Sehenswürdigkeiten: Das Kloster der Versuchung in Jericho

Palästina | Karin blickt vom Berg der Versuchung auf Jericho und das Tote Meer

Palästina | Blick vom Berg der Versuchung auf Jericho und Totes Meer

» Dritter Stopp Qasr el Yahud | Bethanien

Nicht unweit Jerichos liegt die Taufstelle Jesu Christi am Jordan. Hier wird die Wirkungsstätte Johannes des Täufers vermutete. Ein wichtiger Pilgerort, den sich Israel am Westufer (Qasr el Yahud ) und Jordanien mit dem Ostufer (Bethanien) teilen. Kein Wunder also, dass es sich um einen militärischen Sicherheitsbereich handelt. So ergibt sich eine skurrile Atmosphäre, wenn Gläubige im so idyllischen Jordan getauft werden, während Schilder vor den abgezäunten Minenfeldern der Umgebung warnen. Die jordanische Seite wurde erst kürzlich zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt.

Palästina | Sehenswürdigkeiten: Bethanien ist die Taufstelle von Jesus Christus am Jordan. Bräunlicher Jordan im Sommer

Palästina | Sehenswürdigkeiten: Bethanien ist die Taufstelle von Jesus Christus am Jordan

Palästina | Gelbes Schild warnt vor einem abgezäunten Minenfeld

Palästina | In Israel und dem Westjordanland befinden sich noch zahlreiche ungeräumte Minenfelder

» Vierter Stopp Bethlehem und seine Sehenswürdigkeiten

Vor den Toren von Jerusalem liegt getrennt durch massive Grenzanlagen zwischen dem Westjordanland und Israel die Geburtsstätte Jesu Christi. Diejenigen, die nicht ausreichende Zeit für einen ausführlichen Besuch der West Bank haben, können Bethlehem auch entspannt von Jerusalem per Taxi oder Bus besuchen. Abgesehen von der beeindruckenden Geburtskirche und der schönen Altstadt, ist ein Gang durch das Aida-Flüchtlingscamp und entlang der Grenzanlagen eine prägende Erfahrung.

Seit ich als Kind vor der Wende die damals noch intakte Berliner Mauer entlanglief, habe ich nicht mehr so bewegende, eindrucksvolle Graffiti-Kunst wie in Bethlehem gesehen. Da Bilder mehr als Worte ausdrücken, empfehle ich einen Blick in unsere Bilderreihe entlang der Grenzanlagen von Bethlehem.

Die besuchten Flüchtlingscamps Al-Amari und Aida überraschen mich wie so vieles an diesem Tag. Man erwartet intuitiv provisorisch umzäunte Zeltstädte, in denen die Ärmsten der Armen ihr Dasein fristen. Nichts dergleichen haben wir vorgefunden. Da die Camps in der Westbank vor bereits 65 Jahren entstanden, weisen eigentlich nur die Schilder den Besucher darauf hin, dass es sich formal um Flüchtlingslager handelt. Optisch unterscheiden sich diese, abgesehen von der deutlich höheren Armut, nicht von anderen Stadtteilen.

Es ist an der Zeit, unseren Guide einmal naiv provokant zu fragen, warum alles was wir bisher von Palästina sahen, abgesehen von den Camps, so gar nicht unseren Erwartungen einer ärmlichen vom Konflikt gebeutelten Region entspricht. Schließlich sehen wir in den westlichen Medien nur Menschen, die in höchster Armut und umgeben von Panzern, Checkpoints und Soldaten in Flüchtlingslagern in Leid und Elend leben.

Die Wahrheit liegt wie so häufig in der Mitte. Natürlich eröffnet sich für den Palästina-Besucher ein falsches Bild der Lage. Ramallah, Jericho und Bethlehem sind touristische Prestige-Objekte. Knapp 30% Arbeitslosigkeit mit einem hohen Anteil junger Menschen, ganz zu schweigen von dem ebenso hohen Anteil an Palästinensern, die in Armut leben, sprechen eine andere Sprache. Besonders betroffen sind der abgeschnittene Gazastreifen, sowie die Flüchtlingslager. Diese bekommt ein Reisender im Rahmen von Tagesbesuchen gar nicht oder nur sehr oberflächlich zu Gesicht.

Palästina | Friedenstaube mit schusssicherer Weste im Fadenkreuz neben einem Willkommen-Schild der Stadt Bethlehem

Palästina | Graffiti einer Friedenstaube bei Bethlehem als Sinnbild des Nahost-Konflikts

Palästina | Die Altstadt von Bethlehem mit zahlreichen Marktständen

Palästina | Die Altstadt von Bethlehem

» Fazit

Wir haben uns im Westjordanland zu keiner Zeit unsicher gefühlt und wurden sehr herzlich empfangen. Ohne Recherche und palästinensischen Reiseführer wäre es allerdings anspruchsvoll gewesen, die sehr dynamische Sicherheitslage zu überblicken. Diese war recht ruhig. Für den Laien ist es dennoch schwer zu durchschauen, welche Orte bedenkenlos besucht werden können, welche Straßen problemlos befahren werden können und welche Checkpoints passiert werden können.

Unsere persönliche Einschätzung daher: Spricht aufgrund der tagesaktuellen Sicherheitseinschätzung des Auswärtigen Amtes nichts gegen einen Besuch, empfiehlt es sich diesen entsprechend der Hinweise mit ortskundiger Begleitung bzw. als geführte Tour durchführen. Hier geht es weniger darum, Schutz vor potentiellen Gefahren zu haben, sondern vielmehr sich durch das äußerliche Wirrwarr geöffneter und spontan geschlossener Checkpoints zu finden und im unwahrscheinlichen Fall der Fälle Hilfe zu haben.

Das Westjordanland hat unglaubliche kulturelle Schätze und unvergessliche Landschaften zu bieten, die allesamt aufgrund der geringen Wegdistanzen schnell zu erreichen sind. Am beeindruckendsten ist allerdings das Gefühl, diesen Konflikt selbst verstehen und spüren zu lernen, der das Weltgeschehen so sehr beeinflusst.

» Gut organisierte Tours durch Palästina bieten Abraham Tours und Green Olive Tours.

» Artikel zur wirtschaftliche Lage Palästinas.

» Bericht zum Kern des Konflikt, dem Wasser.

» Der Nahostkonflikt, Landeszentrale für politische Bildung.

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