Vor knapp 20 Jahre hörte ich in meiner ersten VWL-Vorlesung von ominösen „infinitesimal kleinen Mengen“ und konnte nicht wirklich etwas damit anfangen. Es ging um Grenznutzen und an meiner Universität in Ilmenau (Thüringen) ganz bodenständig darum, dass die erste Rostbratwurst noch phänomenal schmeckte, während Weitere ein immer geringeres Glücksgefühl verursachten. Nach etlichen Rostbratwürsten ginge das durch den Verzehr gewonnene Glücksgefühl irgendwann gegen Null. Das konnte ich nach fünf Jahren des Studiums später definitiv nachvollziehen…

So in etwa verhält es sich mit allen Dingen im Leben. Wir entdecken etwas, das uns Freude macht und für einen Endorphin-Ausstoß in uns sorgt. Das Erlebnis brennt sich in unserem Hirn fest und wir wollen den Glücksmoment reproduzieren und festhalten. Wegen des abnehmenden Grenznutzens pro konsumierter Einheit, steigern wir automatisch die Dosis. Sucht kann die Folge sein. Sucht nach Alkohol, Zigaretten, Essen, Nicht-Essen, Sport, Karriere, Beziehungen, harten Drogen oder gar nach dem Reisen.

Auf unserer Weltreise stellte ich irgendwann relativ verdutzt fest, dass mich manche Länderhighlights, für die andere weite Wege auf sich nahmen, schlichtweg langweilten. Wenn Du den Perito-Moreno-Gletscher in Patagonien gesehen hast, wirkt der viel gepriesene Franz-Josef-Gletscher in Neuseeland halt wie ein armseliger Schneehaufen.

» Deine Droge wirkt nicht mehr

Genau dann ist der Punkt erreicht, Halt zu machen und sich neu zu orientieren. Du kommst der infinitesimal kleinsten Menge gefährlich nahe und Deine Droge wirkt nicht mehr bzw. nur noch in schädigend verstärkter Dosis.

Die Natur lehrt uns, einen neuen Weg einzuschreiten und belohnt uns erst wieder mit dem maximalen Glück, wenn wir ihrem Ruf folgen und uns nicht mit infinitesimal kleinen Glücksmomenten zufriedengeben. Nur so funktioniert Evolution, weil wir uns auf der steten, biologisch programmierten Suche nach dem Glück, neue Dinge ausdenken und so für Fortschritt sorgen.

» Was die Gesellschaft von Dir fordert

Aus irgendeinem Grund wirkt unsere gesellschaftliche Erwartungshaltung dem entgegen. Wir sollen bodenständig Häuser bauen, Karriere machen, uns fortpflanzen und, dass was wir haben sorgsam optimieren. Riskiere nicht, dass was Du hast in die Waagschale zu werfen, weil Du womöglich alles verlierst. Kein Wunder, dass morgens so viel Menschen griesgrämig in der U-Bahn sitzen oder im Stau frustriert vor sich her hupen. Tief in ihrem Inneren wissen sie, dass der gleichbleibend hohe tägliche gebrachte Aufwand nur noch marginalen Grenznutzen bringt. Aber hey, besser als womöglich gar keine Belohnung, wenn man alles aufs Spiel setzt?

» Wie sich der Ausbruch aus den Erwartungen anfühlt?

In diesem Sinne fuhr ich neulich einen 100 km-Umweg, um in meiner Unistadt Ilmenau in Thüringen am Stand vor dem Kaufland nach 15 Jahre wieder einmal eine Rostbratwurst zu essen. Sie war wieder phantastisch. Ich freute mich, mein altes Karriereleben hinter mir gelassen zu haben, auf Weltreise gegangen zu sein und mich mit Anfang 40 spontan neu zu orientieren. Die kleinen Teufelchen der gesellschaftlichen Erwartungshaltung wecken mich zwar noch so mache Nacht schweißgebadet auf, ob es nicht womöglich falsch war, die Karrierechance von damals mit Füßen getreten zu haben. Doch das sind Ahnen der Vergangenheit.

Denn was konnten sie mir bieten, außer einer stetig schrumpfenden kleinen Menge an Zusatznutzen?

» Das grenzenlose Glück?

Wir Menschen sind nicht dazu gemacht, fortwährend glücklich zu sein. Schließlich könnten wir Glück im Sinne von Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“ sonst gar nicht mehr empfinden, ohne zeitweise unglücklich zu sein. Unglückliche Momente sind Preis und Bedingung fürs Glücklichsein. Es sind genau diese innerlich aufreibenden Momente in uns, die persönliche Weiterentwicklung bewirken.

Potentielle Veränderung macht jedoch immer Angst und schafft Zweifel. So weichen viele Menschen in Passivität dem inneren Wandel lieber aus und begeben sich ins Fine-Tuning, dessen was sie sicher haben. Bloß keine riskanten, neuen Schritte gehen und womöglich alles aufs Spiel setzen?

Doch was setzen wir wirklich aufs Spiel? Nichts mehr als eine infinitesimal kleine Zusatzmenge an Glück, die irgendwann zwangsläufig gegen Null geht.

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